EDI – Kommunikationsstandard in der Automobilbranche

Marek Šabatka Aimtec
7. 6. 2023 | 10 Minuten Lesen

Zum Informationsaustausch zwischen Zulieferern und ihren Kunden in der Automobilindustrie gibt es aktuell keine Alternative. EDI (Electronic Data Interchange) hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Industriestandard entwickelt, der außerdem über seinen ursprünglichen Zweck hinausgewachsen ist. Wer im Automotive-Segment Erfolg haben will, kann auf Lösungen und Tools für diese Art von Kommunikation nicht verzichten. Nachstehend soll dargelegt werden, wo EDI überall genutzt werden kann. Wir stellen die Terminologie vor und zeigen auf, welche Nachrichtentypen, Kommunikationsprotokolle und Kommunikationsstandards im EDI genutzt werden.

Die Anfänge von EDI sind in der Militärlogistik zu finden, konkret in Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Stadt in vier Sektoren aufgeteilt war. Die Kompliziertheit des Lufttransports nach Berlin im Jahr 1948 machte die Entwicklung von Konzepten und Methoden zum Austausch einer großen Menge an Informationen über beförderte Waren erforderlich. Aus diesen frühen Verfahren entstanden später in den Vereinigten Staaten die ersten TDCC-Standards, die im Weiteren vor allem im Transportwesen genutzt wurden. Zu den ersten integrierten, EDI nutzenden Systemen gehörten Systeme zur Frachtkontrolle in Echtzeit. Eines davon war das London Airport Cargo EDP Scheme (LACES) auf dem Londoner Flughafen Heathrow, das 1971 in Betrieb ging.

Unverzichtbares Tool

Seitdem hat EDI eine unglaubliche Entwicklung durchlaufen. Ungeachtet sich wiederholender Prognosen, dass diese Art des Kommunikationsaustausches keine Perspektive hat und verschwindet, weist EDI eine außerordentliche Beständigkeit auf.

Neben dem klassischen EDI in Gestalt von VDA/EDIFACT-Dateien und Übertragungskanälen wie OFTP2 und anderen, drängen sich aber auch neuere Technologien in den Vordergrund. Die Welt der B2B-Integration nutzt immer öfter Übertragungen mittels https, API-Anfragen, die Nachrichtenformate XML oder JSON.

EDI ist somit nicht mehr nur bloßer elektronischer Datenaustausch. Es handelt sich vielmehr um ein Tool zur Integration von Kunden und der Lieferkette. Aus dem reinen Austausch eines Dokuments in elektronischer Form ist ein Tool zur Steigerung der Effektivität und Produktivität dank genauerer Informationen für Lager, Fertigung und Einkauf geworden.

Mit der immer stärkeren Integration der Lieferkette und dem Druck auf ihre Transparenz und Visibilität wird EDI zu einem Schlüsselelement für die Aufrechterhaltung eines reibungslosen Ablaufs der Produktion einer immer größeren Warenmenge. Bei zunehmendem Datenumfang, der mit dem fortschreitenden Internet der Dinge verarbeitet werden muss, ist es mehr als wahrscheinlich, dass EDI auch in diesem Bereich eine wichtige oder sogar die Hauptrolle übernimmt. „Was als Notwendigkeit in Zeiten handgeschriebener Informationen begann, übernahm die Rolle eines Vermittlers bei der Kommunikation zwischen Maschinen“, erläutert Stočes.

„Für die Industrieproduktion handelt es sich um ein unverzichtbares Tool. Davon zeugt sowohl seine Ausbreitung auf weitere Branchen als auch der Druck auf die Implementierung in niedrigeren Stufen der Lieferkette.“

Jan Stočes, Cloud & Integration Services Director, Aimtec

Terminologie

Die EDI-Agenda ist während ihrer jahrzehntelangen Entwicklung und mit dem Fortschritt der Informationstechnologien ordentlich angewachsen. Zur grundlegenden Orientierung in der Terminologie muss man sich Arten von Nachrichten vorstellen, die einerseits der Kunde an Lieferanten schickt und die andererseits in umgekehrte Richtung versendet werden, EDI-Standards und EDI-Protokolle. Die Sprache des „EDI-Stamms“ sieht zwar kompliziert aus, lässt sich aber recht schnell lernen.

Nachrichten vom Kunden an Lieferanten

Lieferabruf (LAB, Call-off, Forecast)

  • Enthält mehrere Liefertermine, ein konkretes Datum oder den Ausblick für einen längeren Zeitraum
  • Ohne Preis, dient lediglich als Grundlage für Produktionsplanung und Beschaffung

Feinabruf (FAB, DELJIT)

  • Beinhaltet den konkreten Liefertermin
  • Kann die genaue Uhrzeit enthalten

Bestellung (ORDERS)

  • Dient der Bestellung konkreter Ware zu einem konkreten Termin an einen konkreten Ort
  • Kann mehrere Produkte/Materialien und auch den Preis enthalten
  • Zusätzliche Nachrichten: ORDCHG, ORDRSP...

Selbstabrechnung

  • Ist in der Regel für größere Unternehmen bestimmt
  • Der Kunde stellt die Rechnung auf seine Firma selbst aus und schickt sie dem Lieferanten.


Nachrichten von Lieferanten an Kunden

ORDER RESPONSE (ORDRSP)

  • Dient der Bestätigung einer Bestellung
  • Wird in der Automobilbranche selten genutzt

Versandmitteilung (ASN)

  • Enthält ein Verzeichnis der zu liefernden Produkte/Materialien
  • Informiert u. a. auch über Menge, Verpackung und Transportweise
  • Beinhaltet außerdem den genauen Zustelltermin

Rechnung

  • Klassische Rechnung vom Lieferanten an den Kunden

Weitere Nachrichten

  • JIS Call off, Enhanced Invoice, Inventory Report, Confirmations, Avis, ENGDAT...

 

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EDI-Standards

EDI-Standards sind Regeln, nach denen Daten in Nachrichten strukturiert sind.

UN/EDIFACT (United Nations Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transport)
Hierbei handelt es sich um einen weitverbreiteten Standard, der in unterschiedlichsten Industriezweigen genutzt wird. Die verschiedenen EDIFACT-Versionen heißen Verzeichnisse, wie beispielsweise D.97A. Die Dokumente und Nachrichten werden zweimal pro Jahr jeweils zum 1. April und 1. Oktober aktualisiert. Aufgrund der Komplexität haben sich mit der Zeit branchenspezifisch sogenannte Subsets von EDIFACT entwickelt. Die Bezeichnungen der Nachrichten bestehen aus sechs Zeichen, typische Vertreter sind DELFOR, DESADV, ORDERS, INVOIC oder IFTMIN.

VDA (Verband der Automobilindustrie)
Der deutsche Verband der Automobilindustrie war eine der ersten Organisationen, die sich für eine umfassende Datenübertragung zwischen Automobilherstellern und ihren Zulieferern eingesetzt hat. Er ist unter anderem Gründungsmitglied von ENX und Odette. In den 70er Jahren begann der VDA damit, Standards für EDI-Nachrichten vor allem für die Automobilindustrie und ihre Zulieferer zu definieren. Die erste Nachricht (VDA4905) stammt aus dem Jahr 1978 und wird bis heute verwendet. Praktisch der gesamte europäische EDI basiert auf dem VDA-Standard, wird aber aktuell bereits durch den weiter verbreiteten EDIFACT verdrängt. Ein „Produkt“ von Odette sind standardisierte Etiketten auf Verpackungen mit Informationen in Klarschrift sowie auch als Barcode.

RosettaNet
Das Non-Profit-Konsortium vereint über 600 Firmen, vornehmlich aus den Bereichen Informationstechnologie, elektronische Bauelemente und Halbleiterfertigung, Telekommunikation und Dienstleistungen. Sein Ziel besteht in der standardisierten Übertragung elektronischer Nachrichten. RosettaNet ist besonders in den USA und in Asien gängig und wird in Europa aufgrund der großen Verbreitung von EDIFACT weniger genutzt. RosettaNet basiert auf offenen XML-Standards, womit alle verfügbaren Prozesse abgedeckt werden. Die Nachrichten sind in einzelne Cluster (0–7) gegliedert und dann weiter unterteilt. Typische Nachrichtenbezeichnungen lauten 3A4, 4A5 oder 3A7. Dabei handelt es sich aber nicht nur um einen Nachrichtenstandard, sondern auch um einen Prozessstandard, weil beispielsweise Logistikprozesse zwischen Nachrichten oder Zeiten mit Angaben, bis wann welche Nachricht zu beantworten ist , u. ä. definiert werden.

ANSI ASC X12 (American National Standards Institiute Accredited Standards Committee X12)
Dieser Standard ist insbesondere in den USA verbreitet, der erste X12 stammt aus dem Jahr 1982. Auch bei ihm haben sich mit der Zeit mehrere Subsets entwickelt, die für die betreffenden Bereiche charakteristisch sind (X12C – Communications & Controls, X12F Finance, X12M Supply Chain). Der Unterschied zwischen EDIFACT und X12 besteht vor allem im unterschiedlichen Aufbau der EDI-Nachricht. Für beide Standards ist aber typisch, dass sie sich mittels Konvertierung praktisch im beliebigen Format auf beiden kommunizierenden Seiten bearbeiten lassen.

 
EDI-Kommunikationsprotokolle

Ein Kommunikationsprotokoll ist ein Kanal, über den Nachrichten versendet werden. In Europa ist OFTP/2 am weitesten verbreitet, in Asien wird eher AS2 und in Amerika X.400 (VAN) genutzt. Immer stärker in den Vordergrund drängen aber WebServices.

OFTP/2 (Odette File Transfer Protocol)
Das OFTP-Protokoll ist 1986 in Europa speziell für die Automobilindustrie entstanden. 2007 wurde OFTP/2 geschaffen, das die Annahme und Versendung von Daten übers Internet ermöglicht. Gleichzeitig regelt es die Sicherheit der Kommunikation durch Verschlüsselung sowie die Authentifizierung der Partner.

AS2, AS3, AS4 (Applicability Statement)
Das Protokoll AS2 wurde von der IETF (Internet Engineering Task Force) zur Verbesserung der Datensicherheit gegenüber anderen bis dahin genutzten Protokollen entwickelt. Im Ergebnis wird jede Nachricht über AS2 digital signiert und verschlüsselt versendet. Seine verstärkte Nutzung begann mit der Vorgabe durch die Firma Walmart. Heute wird es in größerem Umfang in den USA und Asien verwendet und fand auch den Weg in weitere Branchen, einschließlich Automotive.

X.400 (pomocí VAN – Value Added Network)
X.400 ist ein E-Mail-System, das vor allem in Amerika für den Datenaustausch genutzt wird. Seine erste Version entstand 1984. Seitdem hat es sich in Europa auch in weitere Bereiche, wie die Armee und das Flugwesen, verbreitet. VAN besorgt in diesem Fall neben der eigentlichen Datenübertragung weitere Dienstleistungen, wie die Garantie der Zustellung unverfälschter Informationen u. a.

SFTP (Secure File Transfer Protocol)
SFTP ist ein gesichertes Protokoll zur Kommunikation im Internet und wurde von der IETF (Internet Engineering Task Force) entwickelt. Grund seiner Entstehung war ebenfalls die Sicherheit der versendeten Daten. Die Daten werden während der Übertragung verschlüsselt und erst am Bestimmungsort wieder dechiffriert.

ENX
ENX ist ein vom Verein ENX geschaffenes Kommunikationsprotokoll. Seine wichtigsten Gründer waren deutsche und französische Autohersteller, die einerseits Kosten senken und andererseits den elektronischen Datenaustausch in der Automobilindustrie vereinfachen wollten. Zu den derzeit 15 Mitgliedern gehören die bedeutendsten Unternehmen der Branche, wie Audi, BMW, Bosch, Continental, Daimler, DGA, Ford, Renault und Volkswagen. Seit 2010 ist ENX mit dem amerikanischen Protokoll ANX verbunden, was die Zusammenarbeit zwischen dem europäischen und nordamerikanischen Markt gewährleistet.

HTTPS (Hypertext Transfer Protocol Secured)
Das Kommunikationsprotokoll HTTPS wird bei der Datenübertragung mittels Webservices genutzt und garantiert ihre Sicherheit.
 


Weitere Funktionen

Validierung von ASN

 Digitalisierung von Rechnungen
Von Papier / aus PDF ins ERP-System

Rechnungsabwicklung (Invoice Clearance)

WebEDI
Alternative für Lieferanten ohne EDI

JIT
Service zur Bearbeitung von Abrufen, Vorbereitung von Lieferungen, Druck von Etiketten bzw. Transportdokumenten und Generierung von ASN

MFT
Als Verwaltete Dateiübertragung (Managed File Transfer) wird eine Technologie bezeichnet, die eine sichere Datenübertragung in wirksamer und zuverlässiger Weise gewährleistet. Eine MFT-Software wird Unternehmen als sicherste Alternative zu ungesicherten Protokollen wie FTP und HTTP angeboten und ist auch zuverlässiger als das gesicherte Protokoll SFTP. Sie ermöglicht den internen wie externen Austausch unterschiedlicher Arten von Daten, einschließlich sensibler oder solcher größeren Umfangs. Außerdem entfällt die Pflicht zur Zahlung hoher SLA-Gebühren in Verbindung mit einer niedrigen FTP-Leistung. Die Kunden können eine On-Premise-Lösung oder SaaS wählen.

ADAC API
Der ADAC veröffentlicht über seine API-Schnittstelle Informationen über die Notwendigkeit des Abschleppens von Fahrzeugen in ganz Deutschland. Abschleppfirmen können sich dann über diesen Service um die Erfüllung solcher Anforderungen bewerben. Die EDI-Lösung von Aimtec unterstützt die direkte Anbindung an ADAC API.

PEPPOL
Peppol sind Spezifikationen zur Einrichtung und primären Implementierung eines Systems zur elektronischen Auftragsvergabe unter unterschiedlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen. Über dieses Tool können die eingebundenen Organisationen die geforderte Dokumentation, einschließlich elektronischer Rechnungen, in maschinell lesbaren Formaten bereitstellen. Das Netzwerk vereinfacht die grenzüberschreitende Auftragsvergabe und gewährleistet die zentrale Erfassung der Beteiligten. Das Netzwerk wird durch die Organisation Open Peppol und ihre Vertragspartner betrieben.

 


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Marek Šabatka


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