Mit der Automatisierung geht Flexibilität verloren. Wie man sie zurückbekommt, erläutert Rostislav Schwob von Aimtec

Petra Troblová Aimtec
31. 1. 2023 | 8 Minuten Lesen

Den Ergebnissen der Studie Trends in der tschechischen Logistik 2022 zufolge planen bis zu 95 % der angesprochenen Firmen binnen fünf Jahren die Automatisierung und Anschaffung moderner Maschinen. Gleichzeitig werden immer neue Technologien, Sensoren und Verfahren zur Steuerung großer Datenmengen entwickelt. Häufig kommt es in Unternehmen mit neuen Aufträgen auch zur Anpassung der Prozesse und Bedingungen. Dabei entstehen zahlreiche Anbindungen, so dass die Gesamtlogik der Steuerung geändert und weiterentwickelt werden muss. Wie sollten diese Anforderungen angegangen werden? Ist es überhaupt möglich, alles zu vernetzen, digital von einer Stelle aus zu steuern und eine funktionierende digitale Welt zu haben? Das haben wir Rostislav Schwob, Supply Chain Solutions Director von Aimtec, gefragt.

Was für Anforderungen und Bedürfnisse treffen Sie aktuell bei Ihren Kunden an?

Die letzten Jahre stehen im Zeichen der Digitalisierung. Fast jede Maschine, jedes Werkzeug, jeder Roboter, jedes Förderband und jeder Wagen lassen sich über WLAN oder LAN vernetzen, digital steuern und bedienen. Es eröffnet sich eine völlig neue Dimension, wo alles zu einem Ganzen verbunden, synchron gesteuert und in Echtzeit optimiert werden kann. Ich würde fast behaupten, der Traum eines jeden Managers darin besteht, bei Auftreten eines Problems sofort zu wissen, was los ist, oder noch besser, es vorherzusagen, um rechtzeitig eingreifen und entscheiden zu können. Bei unseren Kunden haben wir es daher mit zwei grundlegenden Anforderungen zu tun. Sie möchten Maschinen und automatische Anlagen vernetzen und bedienen sowie optimal steuern. Gleichzeitig verlangen sie, alle Prozess- und Technologiedaten zu erfassen, und wollen die Parameter wünschenswerter und unerwünschter Zustände kennen. Ausgehend davon können sie dann Ursachen und Zusammenhänge identifizieren und den Prozess weiter optimieren. Das alles in Echtzeit.
 

Sie verwenden die Begriffe horizontale und vertikale Integration. Was bedeuten sie und worin unterscheiden sie sich?

AMR (Autonomous Mobile Robot), AGV (Automated Guided Vehicle), ASRS (Automated Storage and Retrieval System) oder Bearbeitungszentren anzuschaffen und nicht mit ERP zu vernetzen macht heutzutage keinen Sinn. Allerdings habe ich vollautomatisierte Lösungen zur Produktionsversorgung gesehen, wo es zwischen Lager und Arbeitsplatz keinen einzigen Mitarbeiter gab und die Teilekisten völlig selbstständig unterwegs waren. Die Eingabe von Anweisungen in die Steuerungssoftware erfolgte hingegen manuell per Tastatur. Daher sprechen wir von vertikaler und horizontaler Integration.

Stellt man sich das steuernde Unternehmenssystem als Kopf bzw. Hirn einer Fabrik vor und vernetzt es mit Technologien und Maschinen unten in der Produktion, handelt es sich um vertikale Integration ohne den Menschen als Mittelsmann. Produktionsplan, Aufgaben, Anweisungen oder Instruktionen zur Maschine sowie Rückmeldungen und technologische Daten fließen von selbst ins ERP zurück.

Horizontale Integration bedeutet, alle anknüpfenden Prozesse von der Materialannahme am Lager über verschiedene Handhabungen, Produktionssteuerung, Qualität, Instandhaltung und Endkontrolle bis hin zur Auslieferung zu vernetzen und so zusammenzufügen, dass keine Fehler, Minderqualität und Ausfallzeiten entstehen und die Produktion mit der maximal geforderten Leistung läuft. Bei dieser Integration geht es nicht nur um technische Vernetzung, sondern auch prozessuale. Gibt es irgendwo ein Qualitätsproblem, muss sofort der Qualitätsbeauftragte gerufen werden. Fertigung, Logistik, Instandhaltung und Qualität müssen wie ein perfekt eingespieltes Team funktionieren.
 


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Wie hängt mit all dem die Digitalisierungsplattform zusammen und inwieweit kann sie ggf. helfen?

Früher erhielten wir Anforderungen wie: Wir möchten eine Maschine oder Anlage mit ERP (z. B.) SAP vernetzen. Wir wollen keine Logik, Funktionen oder Bildschirme, nur die Instruktion bzw. Aufgabe übermitteln, das ist alles. Letztendlich stellte sich aber immer heraus, dass die Möglichkeit einer Parametrisierung, Konditionierung und Algorithmisierung zweckmäßig wäre, weil das Anlegen aller Regeln und Bedingungen direkt im ERP nicht immer günstig und ausreichend flexibel ist. Daher verwende ich den Begriff intelligente Schicht (Intelligent Layer), die ERP mit allen Technologien und Personen in der Fertigungsstätte verbindet. Indem sie intelligent ist, verhält sie sich unter verschiedenen Bedingungen unterschiedlich, vermag auf standardmäßige und nicht standardmäßige Zustände zu reagieren. Sie ist in der Lage, sich mit Maschinen, autonomen Wagen und Handhabungstechnik (VNA und AGV), Robotern, Förderbändern, Sortierern, Schranken sowie automatisierten Lager- und Bereitstellungssystemen (ASRS), den Lager- und Robotersystemen AutoStore, Servus oder Ideastorage zu vernetzen. Alles wird zu einem funktionierenden Ganzen zusammengefügt. Sie kommuniziert mit Informationssystemen, Technologien und Personal. Daher nennen wir sie Plattform, und weil sie alles digital steuert, Digitalisierungsplattform.
 

Was bringt diese „unsichtbare“ Plattform dem Kunden? Hat sie auch für ihn irgendwelche Vorteile oder erleichtert sie vor allem dem Lieferanten die Arbeit?

Die Automatisierung in Produktion und Logistik ist dahingehend problematisch, dass Flexibilität verloren geht. Jede Lösung ist zum Teil maßgeschneidert, Änderungen sind schwierig. Wenn ich wählen müsste, würde ich Flexibilität zurückgewinnen wollen. Ich weiß, dass sich bestimmte Technologien, wie das vollautomatisierte Lager, nicht einfach umarbeiten lassen, aber Algorithmen, Bedingungen oder Regeln würde ich ändern wollen. Wenn ich eine Plattform anschaffe, erwarte ich, dass diese Änderungen einfach und schnell, ohne Notwendigkeit der Programmierung, durchführbar sind. Das würde ich sogar selbst, ohne Unterstützung durch einen Experten, tun wollen.
 

„Es zeigt sich immer wieder, dass keine Lösung für die Ewigkeit ist, und Erweiterungen, Änderungen und Verbesserungen Standardanforderungen unserer Zeit sind. “

Rostislav Schwob, Supply Chain Solutions Director, Aimtec

Sie leiten die Division Logistik, wo Sie seit über 20 Jahren in Unternehmen primär aus der Automobilbranche das eigene Produkt DCIx erfolgreich einsetzen und weiterentwickeln. Wie nähern Sie sich dem erwähnten Ansatz an?

Ganz zu Beginn haben wir ein WMS implementiert und die Logistik einfach dadurch gesteuert, dass wir den Leuten ein mobiles Terminal in die Hand gedrückt haben. Von der Steuerung vernetzter Technologien in Echtzeit konnte man nur träumen. Schon vor Jahren haben wir bei der Entwicklung unserer Anwendung alles auf eine Karte gesetzt – das System sollte passgenau konfiguriert und auf jeden Prozess und jede Anforderung des Kunden eingestellt sein. Das kommt uns heute zugute.

Das Tool Process Builder für eine uneingeschränkte Konfiguration des Systemverhaltens dient der Steuerung von Technologien und Automatisierungsanlagen. Was wir ändern mussten, war die Systemarchitektur. Wir haben die Anwendung dahingehend angepasst, dass sie in der Cloud betrieben werden kann. Dadurch lässt sie sich rund um die Uhr überwachen und sind wir in der Lage, dem Kunden einen maximalen Service zu bieten. Er muss sich um nichts mehr kümmern. Darüber hinaus entwickeln wir unsere Kompetenzen, beispielsweise im Bereich der Simulationen, um den Kunden beraten zu können, welche Anordnungsvariante am günstigsten für ihn ist. Sich vor der eigentlichen Realisierung richtig zu entscheiden, ist billiger, als später etwas abzureißen und zu ändern. Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen sind weitere Bereiche, mit denen wir uns befassen. Das Ziel besteht darin, den Menschen auch in der Administratorenrolle zu ersetzen.
 

Können Sie wenigstens einige Beispiele von Kunden nennen, denen Sie durch diese neuen Ideen und Ansätze geholfen haben?

Mir persönlich gefallen komplexe Projekte, wo sich Kisten, Paletten und Teile selbst bewegen und die Aufgabe nicht darin besteht, sie nur von einer Stelle zur anderen zu bringen. Bei der Firma DŘEVO TRUST beispielsweise steuern wir zwei vollautomatische Einleger, die sich vor der Lagergasse auf einer gemeinsamen Schiene treffen. Sie sind synchron gesteuert, damit sie nicht zusammenstoßen, dabei aber gleichzeitig arbeiten können. Abgerundet wird das Ganze durch einen Vakuumheber zur Umlegung der Teile von einer Palette auf die andere und eine Reihe von Förderbändern für partielle Bewegungen vorbereiteter Paletten. Für ein Verteilungszentrum insgesamt eine interessante Aufgabe mit zahlreichen Optimierungsfunktionen.

Das zweite Beispiel ist ein Projekt für die Firma BRANO, wo wir mehrere unterschiedliche Technologien steuern – Förderbänder mit Kreuzungen, einen Depalettierer, vollautomatische Wagen und ein automatisiertes Lager ASRS mit Einlagerungstiefe 4. Alles muss anknüpfend an die Produktion, den Produktionsplan und den aktuellen Teilebedarf an den einzelnen Fertigungsplätzen funktionieren. Dieses Projekt war für die Firma revolutionär – vom Verzicht auf die Papierform über die Kommunikation des Personals in Produktion und Lager bis hin zur vollständig automatisierten Produktionsversorgung im Gesamtprozess von der Annahme bis zur Fertigungsstraße

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