Im Gespräch mit Hana Součková (SAP) und Jan Kratochvil (Aimtec): KI schafft Raum für Entscheidungen mit höherem Mehrwert

Eva Králová Aimtec
26. 9. 2025 | 9 Minuten Lesen

Wie lässt sich die Stabilität der zentralen IT mit dem Druck der Produktion auf Geschwindigkeit, Flexibilität und dem heutigen Aufkommen von künstlicher Intelligenz vereinen? Im Interview erklären Hana Součková, Managing Director der SAP ČR, und Jan Kratochvil von Aimtec, warum KI nicht nur ein Modetrend ist, sondern ein Tool, das Zeit spart und Raum für wertvollere Entscheidungen schafft. Und warum Unternehmen nicht nur die richtige Technologie, sondern vor allem einen Partner brauchen, der den realen Betrieb versteht.


Künstliche Intelligenz ist für SAP nichts Neues. Wie genau hilft sie Unternehmen im SAP-System?

Součková: Heute wird viel über LLM-Modelle gesprochen, aber SAP integriert bereits seit Jahren fortschrittliche Technologien wie Machine Learning, Predictive Analytics, Blockchain und andere Tools direkt in seine Lösungen.

Unser Ziel ist es, einen Cockpit-Assistenten zu entwickeln – einen intelligenten Agenten, der den Kontext versteht und auch die Umstände kennt. Nutzer müssen keine Routineaufgaben mehr erledigen und können sich auf das konzentrieren, was mehr Nutzen bringt. Als ich mit Kollegen aus unserem Entwicklungsteam in Brno darüber sprach, fassten sie es treffend zusammen: „KI wird Komplexität beseitigen, indem sie die einzelnen Teile des Systems kontextbezogen verbindet, ohne dass der Nutzer dies wissen oder beherrschen muss.“

Früher musste man bestimmte Transaktionen, SAP-Codes und die Systemstruktur kennen. Heute kann man den Agenten einfach fragen: „Zeig mir verspätete Aufträge.“ Er versteht, was gemeint ist – ganz ohne Transaktionscodes.


Haben Sie aus der Praxis Rückmeldungen, ob und wie Unternehmen künstliche Intelligenz im SAP-System tatsächlich nutzen?

Součková: Was die praktische Nutzung bei Kunden betrifft, so erfolgt die schnellste Adaption derzeit im Finanzbereich, da die Datenstruktur dort sehr gut definiert ist. KI hilft bereits heute bei der Prognose des Cashflows, der Erkennung betrügerischer Transaktionen oder der Optimierung von Zahlungen.

Auch im Personalbereich sehen wir deutliche Fortschritte, etwa bei der Optimierung von Recruiting-Prozessen. In der Produktion wird KI am häufigsten zur Anomalieerkennung eingesetzt. Früher hörte ein erfahrener Meister, dass eine Maschine anders klingt, und konnte so ein Problem voraussagen. Heute erkennt KI auf Basis großer Datenmengen zu Vibrationen, Temperaturen und Betriebsbedingungen potenzielle Probleme frühzeitig und sehr präzise. Genau hier sehen wir enormes Zukunftspotenzial.

Kratochvil: Interessant ist, wer KI am häufigsten nachfragt – meist ist es das Unternehmensmanagement. Die Führungsebene sieht KI als Werkzeug, das sie bei Entscheidungen erheblich unterstützen kann. Der Hauptnutzen liegt darin, dass sie Zugang zu den ursprünglichen, unveränderten Daten erhalten.

Früher wurden Daten von Personen verarbeitet, die die Prozesse kannten. Sie exportierten sie, bearbeiteten sie in Excel und gaben sie dann an die Manager weiter. Heute hat das Management direkten Zugang zu aktuellen und unverfälschten Informationen. Und genau das ist meiner Meinung nach ein entscheidender Fortschritt. KI hilft dabei, zu verstehen, was im Unternehmen wirklich passiert – ohne Filter und Schönfärberei.

Früher musste man bestimmte Transaktionen, SAP-Codes und die Systemstruktur kennen. Heute kann man den Agenten einfach fragen: „Zeig mir verspätete Aufträge.“ Er versteht, was gemeint ist – ganz ohne Transaktionscodes.

Hana Součková, Managing Director der SAP ČR

Auch wenn derzeit vor allem KI im Fokus steht, war vor einigen Jahren ein anderes Schlagwort ähnlich präsent – die Cloud. Wie sieht es aktuell bei mittelständischen Unternehmen mit dem Übergang in die Cloud und der damit verbundenen Digitalisierung und Datenarbeit aus?

Kratochvil: Bei mittelständischen Unternehmen spielen die Kosten eine große Rolle: Was können sie sich leisten, wie groß sind ihre internen IT-Teams und welches Know-how besitzen sie tatsächlich? Oft handelt es sich um sehr fähige Menschen, allerdings nur wenige, was ihre Möglichkeiten im Umgang mit Daten einschränkt. Dann werden Cloud-Dienste und KI-Werkzeuge wirklich entscheidend. Ohne ein umfangreiches Analystenteam können Unternehmen Daten, die sie seit Jahren sammeln, effizienter nutzen – Daten, die bisher nicht vollständig ausgeschöpft wurden.

Derzeit entwickeln wir ein Projekt, bei dem wir über dem System SAP S/4HANA ein Produktionscontrolling aufbauen. Damit kann das Unternehmen der Zentrale in Japan Unterlagen zur Leistungsbewertung liefern, die schließlich bis zur Börse gelangen. Und das war im ursprünglichen R/3-System überhaupt nicht realisierbar.

Součková: „Eine Schlüsselrolle spielt der Partner, der das Unternehmen durch diesen Wandel begleitet. Mittelständische Firmen sind oft sehr empfindlich gegenüber etablierten Vorgehensweisen: „So haben wir es immer gemacht, warum sollten wir es ändern?” Oft wurden ihre Systeme stark angepasst und die Unternehmen haben große Angst, durch den Wechsel auf ein neues System ihre Flexibilität zu verlieren. Und genau diese Flexibilität ist für sie häufig ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Wir hatten einen Fall, bei dem ein Kunde beim Übergang auf SAP S/4HANA feststellte, dass er einen Teil seiner internen Prozesse ändern müsste, etwa den Genehmigungsworkflow, weil das, was zuvor maßgeschneidert war, im neuen System nicht mehr ohne Änderungen aufrechterhalten werden konnte.

Hier sehe ich eine zentrale Herausforderung: das richtige Gleichgewicht zu finden. Man muss sich bewusst machen, wo historische Anpassungen echten Mehrwert und Einzigartigkeit bringen und wo es sinnvoll ist, auf Standardlösungen umzusteigen. Mit anderen Worten: zu erkennen, wo es sich lohnt, eigenes Know-how zu bewahren, und wo es keinen Sinn mehr macht, das Rad neu zu erfinden.


Wie kann man dem „Corporate-Dilemma“ entkommen, das den ständigen internen Konflikt zwischen IT und Business beschreibt?

Kratochvil: Diese Spannung nehmen wir seit über zehn Jahren wahr und versuchen, sie zu lösen. Auf der einen Seite steht die zentrale IT mit dem logischen Bestreben nach einem einheitlichen, leicht verwaltbaren und langfristig nachhaltigen System. Auf der anderen Seite stehen lokale Manager, die flexibel auf Kundenanforderungen reagieren und Prozesse in Produktion und Logistik schnell ändern müssen. Deshalb haben wir ein eigenes Add-on entwickelt, das auch in der Public Cloud funktioniert und im SAP Store verfügbar ist. Damit sagen wir unseren Kunden: „Haltet den Systemkern sauber und greift nicht ein, aber lasst uns dort Flexibilität hinzufügen, wo sie entscheidend ist.“

Reale physische Abläufe oder Produktionslinien lassen sich nicht an die Software anpassen. Im Gegenteil – das System muss die Realität widerspiegeln. Und genau das sehe ich als unseren Wettbewerbsvorteil. Wir sind bei mittelständischen Produktionsunternehmen erfolgreich, weil wir ihnen skalierbare Lösungen anbieten können, die ihre Besonderheiten respektieren, ihnen operative Flexibilität geben und gleichzeitig auf zukünftige Entwicklungen vorbereitet sind.

Součková: Ja, das entspricht absolut der langfristigen Strategie von SAP – der Richtung, die wir derzeit einschlagen. Im Rahmen der Produktlinie S/4HANA, beziehungsweise unserer Strategie „SAP First, AI First und Business Suite First“, kehren wir bewusst zum Begriff Business Suite zurück.
Wir sind überzeugt, dass die Rolle des SAP-Systems genau darin liegt: ein starkes und konsistentes Kernsystem zu schaffen, das eine End-to-End-Verknüpfung von Prozessen ermöglicht und darauf aufbauende Innovationen erlaubt.


Wie stehen Sie zu personalisierten Anpassungen im SAP-System? Kann das eine nachhaltige Strategie sein?

Součková: Unser Ziel ist es, den Systemkern sauber zu halten – ohne Z-Codes und historische Anpassungen in ABAP. Ich sage oft scherzhaft, dass jemand, der nach zwanzig Jahren auf SAP S/4HANA umsteigt, erst jetzt beginnt, SAP wirklich zu nutzen. In manchen Unternehmen machten eigene Anpassungen bis zu 60 % des Systems aus. Aber ohne einheitliche Datenbasis lassen sich keine hochwertige KI oder fortschrittliche Analytik aufbauen. Wenn dasselbe Material jedes Mal anders heißt, hilft auch keine künstliche Intelligenz. SAP öffnet sich daher und unterstützt heute statt der geschlossenen ABAP-Umgebung ein breiteres Ökosystem – etwa durch die Zusammenarbeit mit Plattformen wie Databricks oder verschiedenen Sprachmodellen.

Und hier kommen wir zur absolut entscheidenden Rolle der Partner. Wir wollen nicht, dass SAP diese Projekte selbst führt – ganz im Gegenteil. Wir möchten, dass die Partner diejenigen sind, die täglich mit den Kunden in Kontakt stehen, ihre spezifischen Bedürfnisse verstehen und ihnen dabei helfen, das System realistisch an ihre Umgebung anzupassen.
Gerade in der Fertigung oder Logistik ist es oft nicht möglich, die Realität dem System anzupassen – das System muss die reale Welt widerspiegeln.

Haltet den Kern sauber, aber baut darüber hinaus das, was konkreten Mehrwert bringt. Die Einführung von Standards geht heute schnell – und damit lassen sich auch früher sichtbare Ergebnisse erzielen.


Hana Součková, SAP Česká republika

Hana Součková

Hana ist Generaldirektorin der SAP Česká republika und Geschäftsführerin von SAP Ariba und SAP Concur. Sie ist seit elf Jahren bei SAP und leitet in den letzten sieben Jahren die tschechische Niederlassung. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Geschäftsentwicklung, dem Teammanagement und der Betreuung von mehr als 1 400 Kunden. Sie ist Mitglied des Vorstands der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer und unterstützt Initiativen wie Czechitas, Holky z marketingu und den Social Impact Award.

Jan Kratochvil, Aimtec

Jan Kratochvil

Jan befasst sich seit Beginn seiner Karriere mit SAP. Zunächst war er in einem Produktionsunternehmen als Key User und Master Data Specialist tätig. Seit 2007 arbeitet er bei Aimtec, wo er seit 2019 SAP Solutions Director ist. In dieser Funktion gibt er die Richtung für die Entwicklung des SAP-Bereichs vor, leitet komplette Implementierungen von SAP S/4HANA und unternehmensweite SAP ERP-Rollouts bei Großkunden.

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