Gespräch mit Tomáš Pivovarník von AmphenolTuchel Electronics
- SAP S/4HANA
- Fallstudie
Die tschechische Niederlassung der deutschen Amphenol-Tuchel Electronics GmbH, die Steckverbinder und Kabelbäume nicht nur für OEM produziert, hat das Fertigungsmanagementsystem SappyMES zur Erfassung von Daten aus der Produktion eingesetzt. Darüber, wie das Projekt nach einigen Monaten Laufzeit in der deutschen Zentrale gesehen wird, was die Hauptgründe für die Anschaffung des MES waren und über den erwarteten und realen Nutzen der Lösung sprachen wir mit Plant Manager Tomáš Pivovarník.
Können Sie kurz darlegen, womit sich die Firma Amphenol befasst und wer ihre Kunden sind?
Das Werk in Ostrov gehört zur Gruppe Industriedivision der amerikanischen Amphenol Corporation. Wir produzieren Steckverbinder und Kabelbäume für den industriellen Gebrauch, Abnehmer sind Direktkunden oder Distributoren. Zu unseren Kunden zählen John Deere, Philips, Bosch, NSN und Siemens. Der Konzern hat rund 150 Werke auf der ganzen Welt, in Europa, Nord- und Südamerika, China, Asien und Australien. Er beschäftigt über 50 000 Mitarbeiter und erzielt einen Umsatz von 5,34 Mrd. USD. Unsere Aktien werden an der Börse gehandelt. Neben der Industriedivision befasst sich Amphenol auch mit dem Automobil-, Luftfahrt-, Medizin- und Militärsegment. Wir sind der zweitgrößte Hersteller von Steckverbindungen weltweit. Wie in der Automobilindustrie ist auch für uns Qualität wichtig, ungeachtet dessen, ob es sich um einen Steckverbinder oder einen Defibrillator, einen Roboter oder ein Lesegerät für Zahlungskarten handelt.
Wie sieht die eigentliche Produktion bei Ihnen aus?
Die Produktion besteht aus sämtlichen Prozessen, die bei Kabelkonfektion Anwendung finden. Wir bieten unseren Kunden Wertschöpfung in Gestalt des Endprodukts, d. h. eines Kabelbaums, oder liefern nur die eigentliche Steckverbindung. Die Kabel schneiden und crimpen wir und fügen sie mit dem Steckverbinder zusammen. Dieser wird entweder umspritzt oder maschinell eingespritzt, wenn es sich um Steckverbinder aus Kunststoff handelt. Ansonsten verarbeiten wir auch Aluminium-Gussteile für Steckverbinder, die unter besonders anspruchsvollen Bedingungen zum Einsatz kommen. Wir verwenden Niederdruck- und Hochdruck-Spritzgießmaschinen, robotisches oder manuelles Brennschneiden, Schneidemaschinen, Pressen, Montage- und Schraubautomaten.
Was waren die Hauptgründe für den Einsatz des MES?
In den letzten Jahren konnten wir unsere Produktivität verdoppeln und gelangten an einen Punkt, wo wir in einem breiten Portfolio tausende Teile fertigen. Produktionsdaten wurden manuell erfasst, was personal- und kapazitätsmäßig sowie finanziell anspruchsvoll war. Dabei gaben wir uns mit der Produktivität der Gruppe zufrieden und sind nicht weiter ins Detail gegangen. Dieser Ansatz reichte mit der Zeit aber nicht mehr aus, und vor zwei Jahren machten wir uns auf die Suche nach einem MES, das uns helfen würde, in Hinblick auf Produktivität, Leistung und Personal Schwachstellen in Prozessen automatisch zu identifizieren. Wir verlangten die Möglichkeit der Einsichtnahme in die einzelnen Produktionsschritte, um uneffektive Leerlaufzeiten aufzudecken.
Für welche Lösung haben Sie sich letztendlich im Rahmen der Ausschreibung entschieden?
Wir hatten mehrere unterschiedliche MES zur Auswahl, die auf dem Markt angeboten werden. In Betracht gezogen wurde sowohl die Entwicklung unseres vorhandenen ERP-Systems SAP, aber auch der Kauf einer externen Lösung. Die zweite Option haben wir relativ schnell verworfen, weil wir kein separates System warten wollten. Am meisten sprach mich das Angebot der Firma Aimtec an, mit deren Vertretern ich bereits Erfahrungen aus meiner vorherigen Tätigkeit bei Toyoda Gosei Czech hatte. Ihr SappyMES gefiel mir, weil es auf Transaktionen beruht, die wir im ERP SAP bereits nutzen. Es handelte sich also nicht um ein neues System oder neu zu entwickelnde Transaktionen. Gleichzeitig ist es äußerst benutzerfreundlich. Von der deutschen Zentrale erhielten wir die Erlaubnis, ein externes Unternehmen in SAP eingreifen zu lassen, und im April dieses Jahres konnte das Projekt starten.
Wir hören relativ oft, dass SAP ein robustes, unflexibles System ist. Was für eine Erfahrung haben Sie persönlich gemacht?
Ich sehe SAP ähnlich. Es handelt sich um ein großes skalierbares System. Es kommt also auf die Vorgaben an, damit das System richtig implementiert wird. Wenn die bestehenden Prozesse nicht hinreichend bekannt sind, lässt sich auch nicht definieren, wie es besser ginge, weshalb die gleichen Fehler oft vom alten ins neue System übertragen werden. Die Arbeit ist dann äußerst uneffektiv. Es braucht einen Berater oder ein Team von Spezialisten mit Vision und Erfahrung, die in der Lage sind, in diesem Bereich fundiert zu beraten.
Wie funktioniert SappyMES?
Der Bediener hat eine eigene Identifikationsnummer. Diese wird zunächst zusammen mit dem Strichcode für den Auftrag eingescannt. Damit haben wir die Information im System, wann der Mitarbeiter mit der Arbeit begonnen hat. Nach Beendigung des jeweiligen Vorgangs meldet er sich am Touchscreen-Terminal ab, das sich an jeder Fertigungsstraße befindet, und gibt die Anzahl produzierter guter wie schlechter Teile ein. Vor Beginn des nächsten Arbeitsschritts meldet er sich erneut für den Auftrag an. Aus dem MES liegen uns Angaben zur Zeitdauer des Arbeitsschritts, zur Anzahl guter und fehlerhafter Teile vor. Das MES enthält auch Informationen zu Aufträgen und weiß, wie lange die Herstellung der dem Bediener aufgetragenen Teile ungefähr dauert. Alles ist schließlich auf die Bewertung der Produktivität des Bedieners ausgerichtet.
Was für ein Feedback erhalten Sie von den Bedienern in der Produktion? Sehen sie das neue System nicht als übermäßige Kontrolle ihrer Arbeit an?
Im Rahmen der Einarbeitung zeigen wir den Mitarbeitern quer durchs Unternehmen, wie das System gehandhabt wird. Das ist neu. Und wie jede derartige Änderung ist auch diese anspruchsvoll. Wir befinden uns alle noch in der Lernphase. Wir testen das System, was wir alles mit ihm machen können, ggf. wie es sich über den Rahmen der ursprünglichen Vorgaben hinaus weiterentwickeln lässt. Bereits jetzt gibt es schöne Fälle dafür, wie die vorhandene Dokumentation und die Schulung der Mitarbeiter angepasst werden muss.
Können Sie schon einen wesentlichen Nutzen für Ihre Produktion definieren?
Im MES-Projekt haben sich unsere Erwartungen eindeutig erfüllt. Das ist das Wichtigste für uns. Aus einem schwarzen Loch, das die Produktion bis dahin für uns war, sind wir zu Informationen über das konkrete Produkt gelangt. Wir wissen, in welchem Bearbeitungsstand sich einzelne Erzeugnisse befinden. In der derzeitigen Phase sammeln wir Daten, große Mengen an Daten. Das ist für uns in diesen Monaten das Wichtigste. Daraus können wir statistische Auswertungen vornehmen. Reale Zahlen liegen uns noch nicht vor, weil das Projekt noch frisch ist. Es wird aber bereits ersichtlich, welche Abläufe besser und welche schlechter sind. Wir können bestimmen, in welcher Bearbeitungsphase sich das betreffend Produkt befindet und wie viele Stunden es dauert, bis das Erzeugnis oder der Auftrag fertig sind. Gleichzeitig möchten wir, dass sich mehrere Bediener in den einzelnen Arbeitsgängen abwechseln, um dadurch die Variabilität im Prozess zu sehen. Damit lassen sich einzelne Unterschiede zwischen den Schichten analysieren, nicht nur zwischen einzelnen Bedienern.
Sie haben eine externe Firma in der Zentrale durchgesetzt, die in das unternehmensinterne SAP-System eingreift. Wie sieht die deutsche Mutter das Projekt rückblickend?
Mit Stolz. Sie sind zufrieden, wie die tschechische Tochter dieses Projekt eigenständig innerhalb der geplanten Frist und zu den vereinbarten finanziellen Bedingungen bewältigt hat. Ähnliche Projekte im SAP-Bereich gibt es innerhalb des Konzerns viele, aber nicht alle werden derart reibungslos implementiert. In der Zukunft ist möglich, dass wir dieses Pilotprojekt MES auch auf andere Werke der Firma Amphenol ausweiten.
Was ist Ihre Vision für die nächsten Jahre aus der Sicht von Logistik und Produktion?
Wir haben viele Pläne. Wir interessieren uns für Bereiche, die zur Steigerung der Effektivität von Prozessen, sowohl in Produktion als auch Verwaltung, führen können. Wir besitzen zwar alle Module im System SAP, nutzen aber kaum eines gründlich unter voller Ausschöpfung seiner Möglichkeiten. Wir möchten uns weiterentwickeln in Bezug auf Qualität, Erhebung von Daten direkt aus Maschinen/Fertigungsstraßen, ihre Auswertung und Übermittlung. Wir möchten, dass die erfassten Daten in der Produktion transparent sind und beispielsweise für die Wartung weiterverwendet werden können. Wir möchten herausfinden, wie sich das System der Datenerfassung in der Instandhaltung verbessern lässt, um zu wissen, wie häufig die Maschinen stehen, wie oft sie gewartet werden, wie viele Stunden wir mit den betreffenden Maschinen im Rahmen der Wartung zugebracht haben oder welche Ersatzteile verbraucht wurden, und wollen die manuellen Aufzeichnungen in Excel ersetzen. Darüber hinaus denken wir über elektronische Kommunikation mit unseren Lieferanten und Kapazitätsplanung nach. Andererseits macht es für uns wenig Sinn, ein System nur deshalb zu implementieren, um eine bessere Graphik zu bekommen. Wichtig ist, was es wirklich bringt, und wie wir mit diesen Daten weiter arbeiten können.
Was ist Ihre Meinung zu Industrie 4.0? Beeinflusst Sie das in irgendeiner Weise?
Dieser Ansatz hat aktuell noch keinen wesentlichen Einfluss auf uns. Die Automatisierung der Fertigungs- und Verwaltungsprozesse und ihre Vernetzung haben wir auch vor Ausrufung dieser Initiative vorangetrieben. Das tun wir wann immer und wo immer es Sinn macht. Kurzfristig kann das zum Abbau einzelner Arbeitsplätze führen, aber längerfristig werden für Industrie 4.0 Programmierer, Ingenieure und weitere Koordinatoren menschlicher und automatisierter Arbeit benötigt.
Tomáš Pivovarník ist seit 2008 Plant Manager bei der Amphenol-Tuchel Electronics GmbH in Ostrov. Vorher arbeitete er als Senior Manager bei Toyoda Gosei Czech in Klášterec nad Ohří. Er ist Absolvent der Technischen Universität in Košice.
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