BMW iFACTORY: 36 Millionen Teile pro Tag, ein digitales System

Tereza Čechová Aimtec
4. 12. 2025 | 6 Minuten Lesen

Die BMW Group befindet sich in einem grundlegenden Wandel. Jeder der dreißig Produktionsstandorte weltweit wird schrittweise zu einer iFACTORY umgebaut –einem modernen Betrieb, der effizient, nachhaltig und digital ist. Dabei handelt es sich nicht um ein Pilotprojekt, sondern um eine grundlegende Umstellung des globalen Produktionssystems, um der Komplexität und Innovation gerecht zu werden. Und zwar dauerhaft. Was sich hinter dieser Umgestaltung verbirgt, hat Tobias Mayr, General Manager IT Inbound Logistics der BMW Group, auf der Konferenz Trends in Automotive Logistics erläutert.

Die BMW Group produziert jährlich rund 2,5 Millionen Fahrzeuge und mehr als 200.000 Motorräder. An diesem Volumen sind dreißig Werke weltweit beteiligt. Täglich müssen rund 36 Millionen Teile zur richtigen Zeit in der richtigen Sequenz am richtigen Ort bereitgestellt werden. Dies erfordert ein hervorragend funktionierendes Netzwerk von insgesamt 4.000 Lieferanten der BMW Group sowie zuverlässige IT-Systeme. Für den mutigen Schritt in Richtung Standardisierung, Digitalisierung und klar definierter Prozesse entschied sich das Team der BMW Group für eine Kombination aus SAP S/4 on HANA und selbstentwickelten Services auf Microsoft Azure.

Digitalisieren, aber nachhaltig

Die BMW Group fasst ihre Transformationsphilosophie in drei Säulen zusammen: Effizienz, Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Effizienz steht aus einem klaren Grund an erster Stelle. „Ein schlechter Prozess bleibt auch nach der Digitalisierung schlecht“, betonte Mayr. Daher müssen zunächst die Prozesse optimiert werden, erst dann macht ihre Digitalisierung Sinn. Nachhaltigkeit umfasst Zirkularität, Ressourcenschonung und soziale Aspekte. Die Digitalisierung bringt dann Geschwindigkeit, höhere Effizienz und Qualität – das sind ebenfalls unbestreitbare Argumente, die für eine Erhöhung der Investitionen gerade in die digitale Transformation sprechen.


Hier können Sie sich die vollständige Präsentation ansehen:

Die erste Fabrik ohne fossile Brennstoffe

Der Fokus auf Nachhaltigkeit kommt in der neuen Fabrik im ungarischen Debrecen voll zum Tragen. Sie wird die erste Automobilfabrik der Welt sein, die bei der Produktion vollständig auf fossile Brennstoffe verzichtet. Im Jahr 2025 wird hier die Produktion der rein elektrischen Fahrzeuge der Neuen Klasse anlaufen, und das Werk wird zum Vorbild für nachhaltige Produktion werden. Ein erheblicher Teil des Energiebedarfs wird direkt auf dem Gelände gedeckt, der Rest wird zu 100 % aus erneuerbaren Quellen, überwiegend von regionalen Lieferanten, gedeckt. Milan Nedeljković, Mitglied des Vorstands der BMW AG und verantwortlich für die Produktion, erklärte: „Ökologische, wirtschaftliche und soziale Verantwortung sind untrennbar miteinander verbunden, und wir versuchen, alle drei Bereiche nicht nur im Produkt selbst, sondern auch in der gesamten Wertschöpfungskette miteinander zu vereinen. Bis 2030 wollen wir die CO₂-Emissionen aus der Produktion im Vergleich zu 2019 um 80 Prozent senken.“  Seiner Einschätzung nach hat die Umstellung auf erneuerbare Energien nicht nur ökologische, sondern auch gesellschaftliche Auswirkungen – sie trägt zu stabilen Energiepreisen bei und gewährleistet eine sichere Versorgung in der Region.

Ein schlechter Prozess bleibt auch nach der Digitalisierung schlecht. Daher müssen zunächst die Prozesse optimiert werden, erst dann macht ihre Digitalisierung Sinn.

Tobias Mayr, General Manager IT Inbound Logistics, BMW Group

Auf dem Weg zu einer einheitlichen Plattform

Das innovative iFACTORY-Konzept reagiert auf den gestiegenen Bedarf an Flexibilität in der Automobilindustrie. Ohne einheitliche und verifizierte Prozesse sind die Kosten für die Systemverwaltung so hoch, dass Innovationen behindert werden. Der entscheidende Impuls für das Projekt eines weltweit gemeinsamen Logistiktemplates war die im Jahr 2018 getroffene Ankündigung, dass der Support für das System SAP R/3 im Jahr 2030 auslaufen werde. Die BMW Group startete daraufhin das Projekt „Prozesskette Teile” (PKT) mit dem Ziel, auf SAP S/4HANA umzusteigen und ein weltweit einheitliches Template zu schaffen.


Ziele der einheitlichen Produktionstemplates der BMW Group:

  • Ein gemeinsames Template in allen Produktionsstätten weltweit.
  • End-to-End-Dateintegration: Alle Technologien sind zentral zugänglich.
  • Cloud first: vollständige Abkehr von On-premise.

„Wo immer wir Kernfunktionalitäten von SAP nutzen können, bleiben wir im SAP. BMW-spezifische Umfänge entwickeln wir als Services auf Microsoft Azure selbst“, so Mayr. Dies reduziert den Testaufwand von SAP-Releases und Upgrades erheblich. Insgesamt arbeiten 31 IT-Teams an den einheitlichen Templates und bereiten die Umgebung für 50.000 Endnutzer vor.

Roll-out in der Praxis: Die Produktion einschränken? Auf keinen Fall!

Wie hat das BMW-Team über die schrittweise Einführung der Templates gestaltet? „Wir haben mit den Automobilwerken begonnen, dann sind die Werke für die Komponentenfertigung an der Reihe und schließlich werden wir auch die Übersee-Logistik einbeziehen“, erklärte Mayr. Derzeit wird das Template in vier Werken eingesetzt. Den Anfang machte das Mini-Werk in Oxford, gefolgt vom revolutionären Werk im ungarischen Debrecen, das vollständig ohne fossile Brennstoffe läuft. 2025 folgten dann die Werke in Regensburg und das Stammwerk in München.

Die größte Herausforderung stellte der Roll-out in Regensburg dar. Das Werk arbeitet im Dreischichtbetrieb und die Produktion darf nicht eingeschränkt werden. Ursprünglich war vorgesehen, dass das Werk in der ersten Woche nur mit einer Schicht arbeitet, in der zweiten Woche eine zweite hinzukommt und erst nach drei Wochen der vollständige Dreischichtbetrieb aufgenommen wird.

Letztendlich erhielt das Implementierungsteam jedoch nur zwei Tage Zeit für die Umstellung und ab dem dritten Tag mussten alle Schichten laufen. „Der Plan war ambitioniert, wir kannten die Risiken, aber wir mussten erfolgreich sein. Und das ist uns gelungen“, fasste Mayr zusammen. Der Rollout verlief schneller als erwartet und war auch effizienter als gedacht.

Jede weitere Implementierung verbessert das Template. Als Nächstes folgt der Rollout im mexikanischen Werk San Luis Potosí und bald sollen auch die ersten Services in China anlaufen, was ganz neue Herausforderungen mit sich bringen wird.

Der Schlüssel zum Erfolg? Business und IT Hand in Hand!

Die klare Empfehlung von Tobias Mayr lautet: enge Zusammenarbeit zwischen IT und Business. Beide Abteilungen arbeiten agil in Sprints und fungieren als ein Team. „Business ist IT und IT ist Business“, fasst Mayr den Ansatz zusammen. Dieser ermöglichte es der BMW Group, die Digitalisierung von einem technischen Projekt auf die strategische Ebene des gesamten Unternehmens zu heben.

BMW iFACTORY zeigt, dass die Digitalisierung kein Ziel, sondern ein Mittel ist. Der Automobilhersteller baut zunächst schlanke und nachhaltige Prozesse auf und entwickelt erst dann darauf aufbauend digitale Lösungen. Eine einheitliche Plattform im SAP-System, ergänzt durch eigene Cloud-Anwendungen, ermöglicht eine bessere Steuerung der komplexen Logistik, die Standardisierung von Prozessen mit Tausenden von Lieferanten und bereitet das Unternehmen auf die Zukunft vor.

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