Daten und Digitalisierung: Automotive vom Online‑Handel
- Digitale Fabrik
- Gespräch
Wer erfolgreich sein will, muss von den Besten lernen. Aus diesem Grund haben wir mit Ivan Marinec gesprochen, der über einen reichhaltigen Erfahrungsschatz aus dem Logistikmanagement und dem operativen Betrieb im Automotive Business verfügt. Mit mehr als zwanzig Jahren Erfahrung hat er eine einzigartige Perspektive auf die aktuell turbulente Situation und, noch wichtiger, auf das Trendthema Digitalisierung in der Automobilproduktion. Wir haben ihn um Tipps gebeten und nach den wichtigsten Lektionen gefragt, die er bei der Gründung seines eigenen Unternehmens gelernt hat.
Was sind die geheimen Tipps für das Managen des operativen Betriebs einer Produktionsstätte oder Fabrik? Gibt es so etwas wie die „typischen Fehler“?
Sehr oft investieren Unternehmen große Summen in neue moderne Maschinen und technologische Verbesserungen. Dennoch kämpfen Sie mit dem Umstand, dass alle Managementebenen in einer Produktionsstätte verlässliche, korrekte und vollständige Daten brauchen, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die Produktion kann nur effizient gemanagt werden, wenn man sich darauf verlassen kann, dass die vorhandenen Daten vollständig und korrekt sind. Dieses Thema sehe ich als etwas, das vom Management gerne vernachlässigt oder unterschätzt wird – die Notwendigkeit einer vollständigen Datenerhebung und -Integrität.
Einige Unternehmen formulieren Strategien und Ziele zu Digitalisierung und Industrie 4.0, aber ehrlich gesagt können sie mitunter nicht einmal die grundlegendsten Funktionalitäten in SAP nutzen. Warum? Weil die Nutzer den Daten nicht trauen? Warum? Weil die Daten tatsächlich inkorrekt sind. Hand aufs Herz: wer bekommt immer noch KPI-Reports in Excel?
Meiner Meinung nach gibt es da nur eine Lösung: falls es noch nicht existiert, ein Team zusammenzustellen, das die SAP/ MES-Daten pflegt, um die Vollständigkeit und Integrität der Daten zu verbessern. Dafür gibt es bereits ein ziemlich gutes Tool namens DEEP. Es sammelt die Core-Daten von SAP, erstellt Datenpaketwürfel und markiert fehlende oder inkorrekte Daten. Tolles Tool.
Meine zweite Empfehlung an Manager lautet: lassen Sie nicht zu, dass Excel-Reports auf Ihrem Tisch landen. Verbannt dieses Vorgehen komplett und verlangt nach KPI-Reports, die einzig aus dem ERP- oder MES-System stammen. Daraus lässt sich am besten ableiten, wo das Unternehmen steht.
Wohin der Trend gehen wird, ist klar. Alle Unternehmen müssen ihre Art, indirekte Prozesse zu managen, überdenken. Damit meine ich die Supply Chain, Intralogistik, den Einkauf und vieles mehr. Sie müssen digitalisieren und automatisieren.
Was sind derzeit die größten Herausforderungen, oder andersrum, die größten Chancen in der Automotive-Logistik?
In den letzten Jahren hat es überall unglaubliche Fortschritte gegeben. Automatisierung, Digitalisierung und das IIoT haben einfach alles verändert und ganz neue Möglichkeiten geschaffen. Wer analog bleibt, wird nicht überleben (okay, mit Ausnahmen wie Rolex Armbanduhren und das eine oder andere Retro Business).
Wohin der Trend gehen wird, ist klar. Alle Unternehmen müssen ihre Art, indirekte Prozesse zu managen, überdenken. Damit meine ich die Supply Chain, Intralogistik, den Einkauf und vieles mehr. Sie müssen digitalisieren und automatisieren. Hier ist ein Beispiel: Bei Transport-Labels gibt es einen VDA/ GTL-Standard. Diese Labels sind in der Regel an den Palletten angebracht und könnten im Intralogistik-WMS eines Unternehmens genutzt werden Aber viele Unternehmen tauschen beim Entgegennehmen oder der Inspektion der Ware immer noch die Label an jeder Palette durch ihre eigenen aus. Warum tun sie das? Es ist kostspielig und fehleranfällig, weil gerne falsch gelabelt wird.
Dann gibt es noch den Bestell- oder Ausschreibungsprozess bei Frachttransporten. Hier sollten sich alle vom Telefon oder von E-Mails verabschieden. Macht es digital und zu hundert Prozent einheitlich. So etwas lässt sich leicht umsetzen und bringt garantiert 50 Prozent weniger Verwaltungsaufwand. Gehaltserhöhungen sind unausweichlich, also müssen Unternehmen ihre Prozesse an die neuen Gegebenheiten anpassen – um schneller, smarter und unkomplizierter zu sein.
Es ist immer schön, Chancen zu haben, aber ganz ehrlich, was sind die aktuellen Probleme? Und gibt es eine Lösung?
Das derzeit größte Problem sind unterbrochene Lieferketten. Vollständig unterbrochene. Heute sind elektronische Komponenten die größte Engstelle, was zu mehreren Produktionsstopps bei OEMs geführt hat und zu tausenden Fahrzeugen, die halbfertig bei den Herstellern auf dem Parkplatz stehen.
Gleichzeitig sehen wir, wie die Kosten für Luft- und Seetransport in den letzten Monaten explodiert sind. Die Kosten für Containervollladungen sind inzwischen viermal so hoch und die Vorlaufzeiten für manche Rohstoffe sind viel länger. Weil diese Einschränkungen noch viele Monate bestehen werden, gilt es, die Lieferungen unter Kontrolle zu bekommen, beispielsweise durch die Implementierung eines Echtzeit-Monitorings der Lieferungen. Wir können es uns nicht leisten, blind zu sein, wir brauchen immer volle Transparenz. Vor allem für Überseelieferungen wird das zum absoluten MUSS.
Ivan Marinec ist einer der Redner auf der Konferenz Trends in Automotive Logistics 2021, die am 21. September 2021 in Pilsen stattfindet. Holen Sie sich weitere Tipps zu Daten und Digitalisierung und sichern Sie sich Ihren Platz schon heute!
Was sind die gängigsten Herausforderungen, denen Ihre Kunden begegnen?
Die Zahl der Neuvorstellungen von Fahrzeugmodellen ist stark zurückgegangen. Das liegt an geänderten gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Reduzierung von CO2-Emissionen und der noch über weite Strecken fehlenden Einsicht, dass einzig und allein elektrisch betriebene Fahrzeuge die Zukunft in Europa sein werden. Die Lebensspannen der Fahrzeuge werden immer länger und die Vorstellung neuer Modelle verzögert sich. Diese Unsicherheiten erschweren die Ressourcenplanung im Projektmanagement vieler Tier 1- und Tier 2-Lieferanten.
Als Lösung für unsere Kunden empfehlen wir, dass sie die Projektvorbereitung entweder komplett oder wenigstens teilweise an Experten mit dafür qualifiziertem Personal auslagern.
Die steigende Komplexität ist ein weiterer Aspekt, der immer wichtiger wird. Unsere Kunden müssen, im Vergleich zu früher, mehr und mehr Einzelteile, Produkte und Technologien managen. Das liegt daran, dass OEMs die Zahl der Fahrzeuge in ihrem Portfolio erhöhen, aber gleichzeitig die Zahl der produzierten Einheiten zurückfahren. Hier ist ein Beispiel: Ursprünglich wurde der Skoda Octavia einzig an der Produktionsstraße in Mlada Boleslav hergestellt; mit einem Produktionsvolumen von 1.200 Fahrzeugen pro Tag. Jetzt wird auf dieser Produktionsstraße auch noch der Enyaq hergestellt. Das bedeutet, dass nun nur noch 800 Octavias, zusätzlich aber 400 Enyaqs vom Band rollen. Für einen Tier 1-Lieferanten ist das eine Zunahme der Komplexität. Und eine höhere Komplexität bedeutet, dass sich das nicht mit Papier und Bleistift bewältigen lässt. Es bedeutet, dass digitalisiert werden muss, um effizient und wettbewerbsfähig zu bleiben.
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Wir sind uns wohl einig, dass man aus Fehlern am meisten lernt; haben Sie etwas Bestimmtes aus Fehlschlägen gelernt? Haben Sie Beispiele für Aha-Erlebnisse?
Ich habe die Lieferketten und Logistik in der Automobilindustrie immer als Benchmark für andere Industrien gesehen. Dieser nimmermüde Antrieb, den Prozess robust genug zu gestalten, extrem kurze Vorlaufzeiten, Prozesssynchronisierung – all das bleibt exzellent. Allerdings fasziniert mich zurzeit der Bereich E-Commerce ganz besonders. In den letzten Jahren hat hier ein enormer Fortschritt in Sachen Prozessdigitalisierung, Automatisierung der Prozesse im Lager sowie Transportplanung und Monitoring stattgefunden. Ich denke, uns beeindruckt alle, wie zum Beispiel Amazon sein Business macht oder wie schnell Lieferando uns Essen nach Hause liefert. Der Online-Handel zeigt uns, dass es immer noch Potenzial für prozessuale Verbesserung gibt. Scheuklappen runter! Lasst uns Automotive Nerds die Mentalität des Online-Handels übernehmen. Zumindest teilweise.
Ivan Marinec
Managing Partner, AIM PARTNERS
Der Managing Partner von AIMPartners ist mit mehr als 20 Jahren Praxiserfahrung im Bereich Automotive-Logistik Experte zu betrieblichen Abläufen. Er ist spezialisiert auf Daten und deren Qualität, arbeitet aber auch mit SAP, MES, Asprova und vielen mehr. Er begann seine Laufbahn bei Skoda Auto in der Vor-Serien-Logistik und wechselte dann als Logistikmanager zu Saint Gobin. Bei Magna war Ivan Marinec Head of Logistics, später Operations Manager und dann Werksleiter. Nachdem er die Kostal Group verlassen und dort die Position des Betrieblichen Leiters aufgegeben hatte, gründete Ivan sein eigenes Unternehmen. Er ist als Interim- und Projektmanager sowie als Berater tätig. Sein Fokus liegt auf Lieferketten, Logistik und Produktionsprozessen.
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